Das Ziel moderner Schmerztherapie muss daher sein, diesen zentralen Kodierungsprozess zu unterbinden und der Chronifizierung des Schmerzes entgegen zu wirken. Die komplexen Krankheitsmerkmale müssen durch eine genaue Schmerzanalyse sowie Erhebung klinischer Befunde unter Zuhilfenahme moderner bildgebender Verfahren, wie Röntgen-, Computer- und MRI Untersuchung, erfasst werden, um für jeden einzelnen Patienten ein individuelles Behandlungskonzept zu erstellen.
Multimodale und interdisziplinäre
Schmerztherapie
Neben nichtmedikamentösen und medikamentösen Therapieverfahren haben auch interventionelle und operative Schmerzbehandlungen einen wichtigen Stellenwert im multimodalen Behandlungskonzept chronischer Schmerzpatienten.
Zu den nichtmedikamentösen Verfahren zählen die Aufklärung über die Erkrankung und die Prognose sowie die Überwindung von Ängsten und die Besprechung der Therapieziele. Ferner krankengymnastische Konzepte mit Verhaltensschulung, Manual- und Physiotherapie sowie Akupunktur und psychologische Verfahren zur Verbesserung der Schmerzwahrnehmung und Verarbeitung.
Grundlage für die medikamentöse Therapie bildet das sogenannte Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation (WHO), welches 1986 zur Behandlung von Tumorschmerzen eingeführt wurde.
Bei komplexen Fällen werden interdisziplinär Ärzte verschiedener Fachrichtungen bei der Beurteilung und Therapiegestaltung mit einbezogen. Das interdisziplinäre Team besteht aus Fachärzten für Neurochirurgie, Anästhesie, Orthopädie und Psychosomatik.
Medikamentöse Therapien
In der Stufe I (leichte Schmerzen) kommen sogenannte Nicht-Opioid- Analgetika zum Einsatz.
Sie bilden die Basis für entzündungshemmende Schmerzbehandlung. Der Wirkungsmechanismus beruht auf Hemmung der Prostaglandinsynthese.
Saure
Analgetika:
Salicylsäure (Aspirin, Alcacyl, Aspergic,
Aspro), Diclofenac (Flector, Inflamac, Olfen, Voltaren),
Ibuprofen (Brufen, Spedifen, Optifen, Irfen), Indomethacin (Inocid),
Naproxen (Proxen), Piroxicam (Felden, Piroxicam), Tenoxicam (Tilcotil),
Ketorolac (Tora-dol).
Nichtsaure
Analgetika:
Paracetamol (Acetalgin, Ben-u-ron, Contra- Schmerz, Dafalgan, Panadol,
Treuphadol), Metamizol (Minalgin, Novalgin)
In der Stufe II (mittelstarke Schmerzen) kommen schwache Opioid Analgetika zur Anwendung in Kombination mit Nicht-Opioid- Analgetika.
Der
Wirkunsmechanismus beruht auf Aktivierung von Opioidrezeptoren im Nervensystem.
Codein (Codicontin), Tilidin (Valoron), Tramadol (Tramal,
Tramundin, Tramdol Helvepharm)
In der Stufe III (starke Schmerzen) findet man starke Opioid Analgetika in Kombination mit Nicht-Opioid- Analgetika.
Morphin (MST Continus, Sevredol, M-retard-Helvepharma), Methadon (Ketalgin, Methadon Streuli), Fentanyl (Durogesic matrix), Buprenorphin (Transtec, Temgesic), Hydromorphon (Palladon), Oxycodon ( Oxycontin).
Co Analgetika (Adjuvantien)
Co- Analgetika wirken selbst nicht schmerzlindernd, verstärken jedoch die Wirkung von Analgetika und helfen so Schmerzmittel einzusparen.
Zur Anwendung kommen
Antidepressiva:
– Amitryptilin (Tryptizol, Saroten)
– Fluoxetin (Fluctine, Fluoxetin Sandoz)
Antikonvulsiva:
– Carbamazepin (Tegretol, Timonil, Carsol)
Sedativa:
– Benzodiazepine: Bromazepam (Lexotanil), Diazepam (Valium)
Antiarrythmika:
– Lidocain (Xylocain)
– Mexiletin (Mexitil)
Triptane:
– Sumatriptan (Imigran, Rizatriptan (Maxalt)
– Zolmitriptan (Zomig)
Die ideale Kombination für eine erfolgreiche medikamentöse Therapie stellt Im Allgemeinen eine besondere Herausforderung dar, da Medikamente bekanntlich Nebenwirkungen haben und die Anwendung von Opiaten und Sedativa in der Behandlung von chronischen Schmerzpatienten mit einem gewissen Suchtpotential behaftet sind.
Interventionelle Therapie
Wenn medikamentöse und nichtmedikamentöse Therapieverfahren das Beschwerdebild des Patienten nicht befriedigend bessern, kommen interventionelle und operative Schmerzbehandlungen zur Anwendung.
Zu den interventionellen Techniken zählen insbesondere gezielte Infiltrationen im Bereich der Wirbelgelenke und der Bandscheiben sowie der Nervenwurzeln, die durch ein Bandscheibenleiden oder eine Spinalkanalverengung komprimiert und entzündet sind. Diese Infiltrationen werden auch bei peripheren Nervenkompressionssyndromen (Karpaltunnel Syndrom, Tarsaltunnel Syndrom, Meralgia parästhetica) durchgeführt mit dem Ziel einer Desensibilisierung und Schmerzreduktion.
Facettengelenkssyndrom (Rückenschmerzen)
Infolge von degenerativen Veränderungen im Bereich der Bandscheiben kommt es häufig zu Rissbildungen im Faserring (Anulus fibrosus) der Bandscheibe. Diese Rissbildungen führen zu einer intradiskalen Verschiebung des Gallertkerns (Nucleus pulposus) der Bandscheibe und begünstigen die Entstehung einer Bandscheibenvorwölbung (Protrusion) oder eines Bandscheibenvorfalls (Diskushernie).
Die Ursache für die degenerativen Veränderungen liegt in der mechanischen Beanspruchung der Bandscheiben während des Lebens und der verminderten Wasserbindungskapazität der in der Knorpelsubstanz befindlichen Proteoglykane. Neben direkten Nervenwurzelsyndromen mit ausstrahlenden Schmerzen in die Beine kommt es durch die Schwächung des Bewegungssegmentes zu einer Überbelastung der kleinen Wirbelgelenke (Facetten).
Diese sekundäre Auswirkungen führen häufig zu einer Irritation der Gelenksnerven (Ramus dorsalis des Spinalnerven) und sind für das sogenannte Facettengelenkssyndrom verantwortlich.
Bei der Facettengelenksinfiltration wird unter Röntgendurchleuchtung eine gezielte Infiltrations-behandlung im Bereich dieser Gelenksnerven vorgenommen. Hierbei wird eine kleine Menge an Lokalanästhetica appliziert mit dem Ziel neben einer Schmerzreduktion auch eine diagnostische Aussage über den tatsächlichen Ort der Schmerzentstehung zu erhalten. Das Facettengelenksyndrom stellt immer eine Verdachtsdiagnose dar, da auch andere Strukturen wie z.B. die Bandscheiben selbst oder auch die Bänder und Muskulatur sowie die Knochenhaut (Periost), die den Wirbelkörper umgibt, für das Schmerzsyndrom verantwortlich sein können.
Diese Infiltrationsbehandlungen können sowohl an der Lenden-, Brust- als auch an der Halswirbelsäule durchgeführt werden.
Thermische Facettendenervation (Radiofrequenz Thermoläsion)
Kommt es nach einer Infiltration der kleinen Wirbelgelenke (Facetten) zu einer deutlichen Beschwerdereduktion, kann bei erneuter Exazerbation eine thermische Facettendenervation angeschlossen werden. Bei dieser Behandlung wird in Lokalanästhesie der Ramus medialis der Spinalwurzel im Bereich des Wirbelgelenkes mit Hilfe einer elektrischen Sonde unter Bildwandlerkontrolle verödet. Diese sogenannte Radio(Hochfrequenz)-Thermoläsion wird mit einer Temperatur von 80 Grad Celsius für die Dauer von 60 Sekunden durchgeführt. Aufgrund der neuronalen Vernetzung und mehrfachen Innervation des Bewegungssegmentes sollte der Eingriff stets ein Segment oberhalb und unterhalb des Schädigungsniveaus umfassen. Auch die pulsierte Radiofrequenztherapie, bei der der Strom diskontinuierlich appliziert wird, sowie die Kryoläsion, werden zur Behandlung der kleinen Wirbelgelenke angewandt.
Nervenwurzelsyndrome
Isolierte Nervenwurzelsyndrome entstehen häufig auf der Grundlage von Bandscheibenvorfällen (Diskushernien), die nach Perforation des hinteren Längsbandes und Austritt des Gallertkerns (Nucleus pulposus) in den Spinalkanal eintreten und zu einer Kompression von Nervenwurzeln führen. Die Schmerzausstrahlung ist häufig Dermatom-bezogen und kann somit meistens einem Bewegungssegment zugeordnet werden. Der Schmerz im betreffenden Versorgungsgebiet der Nerven wird nicht alleine durch die Kompression hervorgerufen, sondern durch Entzündungs-mediatoren (Botenstoffe), wie Prostaglandine und Leukotriene sowie Kinine und Interleukine, welche im Rahmen eines Badscheibenschadens freigesetzt werden.
Die Diagnosestellung erfolgt durch die klinisch-neurologische Untersuchung sowie durch moderne bildgebende Verfahren wie MRI oder Computertomographie.
Bei der Nervenwurzelinfiltration wird ein Lokalanästhetikum unter Röntgendurchleuchtung im Bereich der Nervenwurzel appliziert. Dies kann sowohl von epidural her erfolgen oder auch über einen posterolateralen Zugang von extraforaminal.
Epidurale Infiltrationen
Die Indikation für eine epidurale Infiltration wird häufig bei Patienten gestellt, die bereits im lumbalen Bereich operiert wurden und narbige Veränderungen im Bereich der Nervenwurzeln aufweisen. Ziel ist es, das schmerzlindernde Medikament in die Nähe der durch die Narbe eingeschlossenen Nervenwurzel zu applizieren. Auch bei diffusen lumboradikulären Schmerzen ohne eindeutige Dermatomzuordnung kommen epidurale Anästhesien zur Anwendung sowie epidurale sakrale Injektionen. Hierbei werden grössere Mengen Lokalanästhetika in den Spinalkanal eingebracht. Wiederholte Injektionen dienen der Schmerzreduktion und können zu einer Desensibilisierung von chronifizierten Nervenwurzelsyndromen beitragen.
Sakralblock
Bei der epiduralen sakralen Infiltration werden Nervenwurzeln im kaudalen Abschnitt des Wirbelkanals behandelt (S2 bis S4). Hierbei können neben lumboradikulären Syndromen auch Schmerzen im Beckenbodenbereich günstig beeinflusst werden. Sämtliche Behandlungen sollten sowohl durch ein bildgebendes Verfahren als auch durch Kontrastmittelgabe kontrolliert werden. Neben Objektivierung der exakten Nadelposition erhält man häufig durch die Kontrastmittel-verteilung wichtige zusätzliche Informationen über narbige Veränderungen im Bereich der Nervenwurzeln oder Einengungen des Spinalkanals.
Diskographie
Bei der Diskographie werden Kontrastmittelinjektionen im Bereich der Bandscheibe durchgeführt und bei einer Schädigung der Bandscheibe Schmerzen ausgelöst. Dies wird dadurch erklärt, dass durch den mechanischen Druck des injizierten Kontrastmittels Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren) im Bereich des Faserrings (Anulus fibrosus) der Bandscheibe aktiviert werden. Mit dieser Methode können oftmals diskogene Schmerzen als auch diskale Rissbildungen diagnostiziert werden.
Angeschlossen werden intardiskale Behandlungen, wie beispielsweise das Einbringen von Lokalanästhetika oder auch Laserbehandlungen, die zu einer Schrumpfung von Bandscheibenanteilen führen und durch eine Verminderung des intradiskalen Druckes zur Schmerzreduktion beitragen können. Neben der Schrumpfung von Bandscheibenanteilen wird auch die Wirkung des Laserlichts auf Entzündungsmediatoren, die in der geschädigten Bandscheibe entstehen, diskutiert. Diese Aspekte sind jedoch gegenwärtig wissenschaftlich nicht ausreichend belegt.
Cervikalsyndrom (z.B. Disorsionstrauma)
Oftmals kommt es im Rahmen eines Schleudertraumas zu Funktionsstörungen im Bereich der oberen Halswirbelgelenke oder auch Kopfgelenke, das heisst der Segmente C0 bis C3, die konsekutiv zu Kopfschmerzen und Schwindel (Vertigo) mit Ohrenschmerzen und Ohrgeräuschen (Tinnitus) führen können. Auch ein- oder beidseitige Gesichtsschmerzen können begleitend auftreten. Häufig sind diese Schmerzen durch eine Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule begleitet. Nähere Untersuchungen haben gezeigt, dass es Afferenzen gibt aus den oberen Halswirbelgelenken sowie der Halsmuskulatur zu den Kerngebieten von bestimmten Hirnnerven (N.trigeminus, N. cochlearis, N. vestibularis).
Daher kann ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule zur Irritation dieser Nerven führen und die oben genannten Symptome auslösen.
Gezielte Infiltrationen im Bereich der Halswirbelsäule können somit zu einer deutlichen Beschwerdereduktion führen. Solche Behandlungen im Bereich der oberen Halswirbelsäule sollten aufgrund der engen Lagebeziehung der Arteria vertebralis und des Rückenmarks sowie der Cisterna cerebello-medullaris unter Analgosedation (Narkose) erfolgen, um das Risiko einer Verletzung dieser wichtigen Gewebsstrukturen gering zu halten.
Spezielle Schmerztherapie (z.B. Trigeminisneuralgie)
Auch spezielle Schmerzsyndrome, wie beispielsweise die Trigeminusneuralgie, können durch interventionelle schmerztherapeutische Massnahmen behandelt werden.
Hierbei wird das Ganglion Gasseri durch das Foramen ovale an der Schädelbasis punktiert und es werden Lokalanästhetika und Opioide im Bereich des Ganglion trigeminale eingebracht.
Grundsätzlich sollte jedoch vor jeder Behandlung eine MRI-Untersuchung des Kleinhirnbrückenwinkels durchgeführt werden, um eine enge Lagebeziehung des Nervus trigeminus zu einer Gefässschlinge, meist der Arteria cerebelli superior, auszuschliessen. Falls eine solche Gefässschlinge durch eine MRI-Untersuchung diagnostiziert wird, wäre eine mikrovaskuläre Dekompression nach Janetta, bei der mit einer Sonde die Arterie vom Nerv gelöst und verlagert und anschliessend ein Muskel- oder Teflonstück zwischen Arterie und Nerv platziert wird, einer infiltrativen oder neurodestruktiven Methode (Thermoläsion) vorzuziehen.
Operative Wirbelsäulen-Schmerztherapie
In manchen Fällen von Schmerzen, deren Ursprung in der Wirbelsäule liegt, kann nur mit einer Operation geholfen werden. Dies geschieht in den meisten Fällen erst dann, wenn alle anderen therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.
Eine Operation kann erforderlich werden bei
Bandscheibenvorfall mit Kompression einer Nervenwurzel
– Verengung des Wirbelkanals mit Druck
auf die Wirbelsäulennerven (Spinalkanalstenose)
– schmerzhafte Abnützungen der
Bandscheiben (degenerative Discopathie)
– Wirbelgleiten (Spondylolisthesis)